Einige Tage vor Antritt der Reise kaufen wir die Busbillette
in Neuland. Im Supermercado Siemens gibt es die Mglichkeit, Busfahrten zu buchen.
Wchentlich fahren mehrere Busse von Asuncin nach Santa Cruz. Zweimal fhrt
Stel-Turismo mit bequemen Liegesitzen nach Bolivien. Wir mchten diesen Komfort nutzen,
denn von Rosaleda bis Santa Cruz dauert die Fahrt immerhin rund 20 Stunden. Wir knnen
einen guten Preis aushandeln und kaufen auch gleich die Tickets fr die Rckreise, das
sei billiger. Das ist auch tatschlich so, denn ein Mitreisender zahlte von Santa Cruz
nach Asuncin 70 US-Dollar, whrend wir nur 42 zu berappen hatten.
In der Nacht von Sonntag auf den Montag fhrt uns
Maleika zur Polizeistation auf der Picada Quiniento (Ruta 500), die zwei Kilometer von
Rosaleda und fnf Kilometer von unserem Hof entfernt liegt. Maleika ist die Tochter von
Inge und Theo mehr bekannt unter der Bezeichnung "Hamburger" die
in Mariscal Estigarribia die Pension "Maleika" fhren. Sie wird in unserer
Abwesenheit unsere "verhtschelten" Tiere betreuen.
Praktisch fr uns ist es, dass die Busse nach
Bolivien nicht mehr wie frher ber Mariscal, sondern ber die Quiniento fahren; diese
Strasse ist offensichtlich besser befahrbar. So knnen wir praktisch vor unserer
Haustre ein- und aussteigen.
Aufgrund der Abfahrtszeit in Asuncin msste der
Bus um 3 Uhr nachts hier vorbeifahren. Pnktlich um 4 Uhr 15 kommt er. Am Polizeiposten
muss er sowieso anhalten, sodass wir problemlos zusteigen knnen. Unsere Sitzpltze sind
bereits besetzt. Aber der Busbegleiter schafft uns kurzerhand irgendwelche Pltze frei.
Unsere Taschen knnen wir nirgends verstauen; so lassen wir sie im Mittelgang stehen und
fgen uns harmonisch in die bereits schlafende Gesellschaft ein. Ich rcke einen
indianischen Hintern etwas beiseite, so dass es auch Platz fr meine mden Glieder hat.
Wie fast alle Strassen im Chaco fhrt auch diese immer geradeaus. Und wie fast alle
Strassen ist auch diese nicht geteert oder geschottert sondern mit Lchern und Furchen
berst. Nach etwa zwei Stunden gibt es einen Halt. Pissen ist angesagt, die Mnner am
Strassenrand, die Frauen im Busch.
Nach zwei Polizei- und zwei Militrkontrollen sind
wir irgendwann auf bolivianischem Boden. Der Chaco geht langsam in ein hgeliges Gelnde
ber. Die Vegetation ist noch fast dieselbe. Nur die Strasse wechselt von Sand- in eine
Schotterpiste. Sie ist aber genauso holprig und staubig.
Wir kommen nach Villa Montes, dem ersten Stdtchen
auf bolivianischer Seite. Von da an gibt es Asphalt. Aber nicht zu frh gefreut. Das
Vergngen dauert nicht allzulange. Bald sind wir wieder auf der gewohnten Rttelpiste.
In Villa Montes hat ein anderer die Pause dazu benutzt, meinen Platz einzunehmen, es sei
seiner. Der Busbegleiter beruhigt mich indem er behauptet, es habe gengend Platz an
Bord. Einer geht zum Buspersonal nach vorne um zu Schwatzen. So erhalte ich seinen Platz
neben dem Eingang. Die Tre nach vorne ist offen und in dieser Position mit einem Seil
fixiert. Das heisst fr mich, dass die Tre genau zwischen meine Beine zu liegen (oder
sagt man hier "stehen") kommt. Ein Bein muss ich auf die hintere Seite der Tre
zwngen und das andere bleibt im Durchgang liegen, so dass jeder darber stolpern muss.
Mit dieser Beinstellung lehne ich mich gensslich in die Horizontale.
In Camiri wechselt dann der Fahrer und damit auch
der Fahrstil. Wie ich dann spter in Santa Cruz feststellen kann, entspricht dieser
Fahrstil eher dem der Bolivianer. Die Bremsen werden massiv geschont und dafr die Hupe
energisch eingesetzt. Dies erlaubt auch eine schnellere Fahrweise, da man nicht immer
unntig abbremsen muss. Nur die anderen Verkehrsteilnehmer haben sich ein bisschen
anzupassen: Khe, Gauchos, Esel, Hunde, Schweine und Hhner haben fluchtartig die
Strasse zu verlassen, die haben da auch nichts verloren. Auch entgegenkommende PWs haben
sich in den Strassengraben zu verdrcken. Nach einigen Bachdurchquerungen gehts
wieder volle Fahrt voraus und Holperdi-holper. Jetzt ist der geeignete Zeitpunkt, um das
Essen zu servieren. Fast vergeblich versuche ich mit dem Reis und dem Hhnchen meinen
Mund zu treffen. Irgendwann gebe ich auf. Das kulinarische Niveau berechtigt auch, das
Essen ohne schlechtes Gewissen einzustellen.
Wir kommen zgig voran und erreichen bereits um 23
Uhr das Ziel Santa Cruz. Wir nehmen uns ein Taxi und fahren zum Hotel Leyla. Es wurde und
als preiswert empfohlen. Bald legen wir uns ins Bett, mssen aber feststellen, dass die
Bussitze (auch mit Tre zwischen den Beinen) bequemer waren. Hngemattenliebhaber
htten aber die Betten geliebt.
Wir sind frh auf, denn geschlafen haben wir genug
und bei diesen Betten sind wir froh, aufstehen zu drfen. Wir warten bis das Frhstck
("?") gegen acht Uhr aufgetischt wird. Es gibt Brot und ganz wenig Butter
sie ist nicht ranzig, denn normalerweise sei sie ranzig wurde uns spter erzhlt
und keine Marmelade, dafr ein Spiegelei und Kaffee.
Dann gehts auf in die City. Santa Cruz gilt
laut Bolivien-Guide - als die heimliche Hauptstadt. Wir sind berrascht, wie
gepflegt und liebevoll sich die Stadt prsentiert, mit Holzsulen und Laubengngen im
Kolonialstil. Auch die meisten Leute machen einen gepflegten Eindruck und sind klassisch
oder modern gekleidet. Uns erinnert Santa Cruz stark an Sevilla in Spanien. Wir erleben
die Bolivianer als nett, kommunikationsfreudig und hilfsbereit. Wir werden gar nicht als
Gringos behandelt.
Wir besuchen die Feria Barrio Lindo, ein riesiger
Markt, der Mittwochs, Freitags und Samstags offen ist. Unter einem Dach mit einer
Seitenlnge von ca. 500 Metern drngen sich hunderte von Verkaufsstnden oder
nischen in zig Gassen und Querstrassen. Da reiht sich Jeans-Stand an Jeans-Stand,
Turnschuh-Stand an Turnschuh-Stand und wieder Jeans-Stand an Jeans-Stand. Wer die alle
kaufen soll weiss ich nicht. Dann endlich ein Stand mit Unterwsche, mit Schuhbndeln,
mit Haushaltgerten mit Werkzeugen, mit Babysachen und und und. Wie lange braucht man
wohl, um in ntzlicher Frist einkaufen zu knnen, die Sachen zu finden, die man will?
Aber um das geht es hier auch nicht. In diesem Markt wird gelebt und der Markt wird
erlebt. Diese Art einzukaufen darf von keinem Supermercado rationalisiert werden. In Santa
Cruz gibt es noch weitere Mrkte, aber das Prinzip und das Angebot bleiben dasselbe
mindestens aus unserem Blickwinkel betrachtet.
In der Stadt treffen wir auch viele Mennoniten, alle
Mnner in Latzhosen und mit breitrandigem Strohhut in Stetson-Form wie J.A. (Dallas).
Zwei Meter hintenan die jeweilige Frau in mittelalterlicher Kostmierung. Dann ein
anderes Szenario: In einer Gasse wird ein ca. 14-jhriger Junge an den Hnden
abgeschleppt. Sein lebloser Krper wird wie ein Stck Schlachtvieh ber den Asphalt
gezogen. Hinterher eine Menge Schaulustiger jeglichen Alters. Der Taxifahrer, mit dem wir
gerade unterwegs sind, meint: "Ein Drogentoter, das mache nichts". Wir sind
schockiert.
Wir fahren in ein 15 Kilometer entferntes
Stdtchen, natrlich hat es auch dort einen Markt. Unterwegs fahren wir an vielen
schnen Gartenanlagen vorbei. Das sei das Erholungsgebiet der Stadtbewohner am
Wochenende, wird uns erklrt. Wir besuchen auch eine Finca mit Rindern und Feldern. Die
Pferde und das Vieh das wir in unserer kleinen Bolivienreise antreffen sind allesamt
mager, struppig und verwurmt. Von Rinderzucht und mast scheint man hier nicht sehr
viel zu verstehen und Wurmkuren kennen man wohl kaum oder sie sind zu teuer.
Kulinarisch gesehen ist Santa Cruz und Umgebung ein
absoluter Tiefflieger, ein Jammertal. Natrlich sind unsere paar konsumierten Hppchen
statistisch gesehen nicht reprsentativ, aber ich mchte meine Taxierung hier trotzdem
kundtun: Boliviens Gastronomie ist nebst einem Volltreffer von Lasagne im "Mercado
Barrio Lindo" zwischen lieblos und krass ungeniessbar einzustufen. Einmal essen wir
Fleischspiess mit Pommes. Meine Frau benutzt oft den Spruch: "Mit diesem Fleisch
knne man die Schuhe sohlen und nach Rom pilgern." Dieser Vergleich trifft hier
hundertprozentig zu. Die Fritten sind
kalt und schlaff und zudem aus Ssskartoffeln gemacht. Zu Trinken gibt es das
Nationalgetrnk "Chicha" oder gar nichts. Ich nehme Chicha, meine Frau die
andere Variante. Chicha ist ein blass-milchig-weisses Gebru aus einem Fruchtsaft und
schmeckt etwas sehr gewhnungsbedrftig, Ich jedenfalls komme nicht als Chicha-Fan aus
Bolivien zurck. Wie mir spter jemand erklrt, sei das Getrnk
"speichel-gegrt"; na dann prost! Alkohol wird ffentlich sehr wenig getrunken
und angeboten. An einem Stand ist ein Schild mit der Anschrift "Chicha-Bier"
angebracht. Ich, halb ausgedrrt, sehe nur das Wort "Bier" und bestellte sofort
eines. Aber was bekomme ich? Natrlich ein Chicha. Mit Todesverachtung kippe ich die
undefinierbare Brhe hinunter; ich bin noch kein Bolivianer.
In der kurzen Zeit haben wir viel gesehen und treten
am Mittwoch um 19 Uhr die Rckreise an. Diesmal haben wir unsere Sitzpltze auf sicher,
da wir vom Start weg dabei sind. Das muss zwar nicht unbedingt heissen, dass das die ganze
Reise so sein muss. Ein Deutscher, der sich seit fast einem Jahr auf Sdamerikareise
befindet, muss nach der Rast in Villa Montes feststellen, dass sein Platz besetzt ist. Sie
ist hier zugestiegen und behauptet stur, dass "ihr" Platz 6 sehrwohl
"sein" Platz 8 sei. Irgendwie wird Platz geschaffen. Die hbsche Zusteigerin
ist sehr gesprchig und begibt sich bald da und dort auf einen Schwatz zu Leuten und
setzt sich ungeniert auf deren Gepck. Nebst einem sprden Mennoniten-Ehepaar reist auch
ein gesprchiger und lachfreudiger Mennoniten-Junggeselle lteren Semesters mit. Er
bewegt sich virtuos zwischen den Sitzreihen und plaudert mal da und mal dort. Aber am
besten gefllt es ihm dann in der hintersten Sitzreihe, eingeklemmt zwischen hbschen
Einheimischen. Neben mir auf der anderen Gangseite sitzt eine Indianerin mittleren Alters.
Sie kommt aus La Paz und will ihre Verwandten in Asuncin besuchen. Sie ist gepflegt und
trgt traditionelle Kleider in bewusst abgestimmten dezenten Farben. Sie macht auf mich
den Eindruck einer gebildeten Person aus reicheren Verhltnissen. Ich kann mich dann aber
doch nicht entschliessen, sie zu fragen, womit sie ihr Geld verdiene.
Im Bus werden zwei Mahlzeiten serviert. Die bestehen aus einem Plastikset mit
verschiedenen Hppchen in den Abteilungen, wie im Flugzeug, einfach nur kalt und schlapp.
Die erste Mahlzeit erhalten wir gleich am Start, und da der Bus erst mit
dreiviertelstunden Versptung abfhrt, kann man diesmal rttelfrei dinieren. Wir sparen
uns dieses Essen, das mit einer Klarsichtfolie gut abgedichtet ist auf, denn wir haben uns
kurz vor Abreise die einzigen essbaren Fritten besorgt, die es in Santa Cruz gibt: Beim Mc
Donalds (bitte nicht weitersagen). Da wir bis zur nchsten Mahlzeit nicht so recht Hunger
verspren, verschenken wir unser Essen bolivianischen Soldaten an der Grenze. Die sind
uns unendlich dankbar. Susanne wollte eigentlich und fr sie typisch damit die
ausgemergelten Hunde fttern, aber ich intervenierte mit der Begrndung: Es sei etwas
piettlos vor vielleicht nicht so gut verpflegten Menschen zuerst die Hunde zu
bercksichtigen. Sie beugt sich meinem Einwand und wir machen wie gesagt den armen Jungen
im Kmpfer eine Freude. Von der zweiten Mahlzeit kann man mindestens das Hhnchen
verspeisen. Bolivien scheint sowieso mehr ein Pollo- als ein Beefe-Land zu sein. Die
Plastikunterstze mit den Essensresten und das Plastikbesteck werden in schwarzen
Abfallscken vom Busbegleiter eingesammelt. Meine Frau sagt: "Der wirft die jetzt
gleich zum Fenster hinaus." Ich entgegne: "Das kann nicht sein!" ... Meine
Frau hat recht.
Bald sind wir wieder im Chaco. Wir sitzen weit
hinten. Wenn man nach vorne schaut sieht es fast so aus, wie wenn sich ein Boot durch
starke Meereswogen kmpft. Der Bus wippt auf und ab. Ein starker Wind blst den
Strassenstaub bis ber die Seitenfenster hoch. Pltzlich haben wir sogar Staub im Innern
des Busses. Die vordere Dachluke wir aufgerissen und ein Seitenfenster auf der Wind
abgewendeten Seite wird geffnet. Aber auch das hilft kaum. Auf meinen Brillenglsern
bildet sich sofort eine Staubschicht. Dann kommen Wasserpftzen die beweisen, dass es
hier vor kurzem geregnet hat. Wenn der Bus mit einem Vorderrad in eine solche Pftze
gert, spritzt das Wasser bis zum Fenster hoch, so dass die Hochsee-Illusion perfekt ist.
Bald kommt ja die Regenzeit. Da werden nur noch die alten Busse mit Seilwinde eingesetzt.
Da kann dann die Ankunft der Fahrt nicht mehr vorausgesagt werden.
Donnerstag um 15 anstatt wie berechneten um 14 Uhr
kommen wir auf der Polizeistelle vor Rosaleda an. Maleika erwartet uns. Mit uns kommt
Michael, der deutsche Sdamerikareisende. Wir haben ihn eingeladen, um ihm ein bisschen
von "unserem" Chaco zu zeigen. Er hat zwar nicht viel Zeit, da er in Buenos
Aires verabredet ist, aber er will sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen. In den
gngigen Reisefhrern und internationalen Guides, vor allem den nordamerikanischen, seht
wenig bis gar nichts ber Paraguay, schon gar nicht ber den Chaco. Und das was darin
steht ist veraltet, falsch und irrefhrend. Das fhrt dann auch dazu, dass
Sdamerikareisende von Bolivien direkt nach Asuncin fahren. Zudem wird von den
Busunternehmen keine Ermssigung gewhrt, wenn jemand zum Beispiel nur nach Filadelfia
fhrt.
Wir laden Michael zum Nachtessen im Hotel Suiza ein.
Dafr muss er aber ein Exemplar unserer ersten Zeitungsausgabe kaufen. Wir zeigen Michael
Rosaleda by night und am anderen Morgen hoch zu Ross. Dann besuchen wir in Filadelfia den
Corral und eine Menno-Familie. Da Michael nebst Chorleiter und Orgelspezialist auch
Klavierspieler ist, muss er auch kurz dem Jngsten den Ohrwurm "pour Elise"
beibringen. Er ist bald Mittelpunkt der ganzen Familie und wir haben viel Spass. Bald
schon ist die Zeit gekommen, wo er sich auf den Nachtbus nach Asuncin sputen muss. Es
bleibt noch Zeit, um einige Notizen zu machen. Michael schreibt auch seine Eindrcke an
bekannte Guides und mchte bald ein eigenes Reisebuch herausgeben. Ich batte ihn noch,
uns eine Geschichte zu schicken, damit wir sie in unserer Rosaleda-Zeitung
verffentlichen knnen. Wir verabschieden uns herzlich. Es war eine tolle Begegnung.